White

Ich sitze auf der Bredeneyer Straße, habe mich schon seit bestimmt einer Viertelstunde nicht mehr wesentlich von der Stelle bewegt...
Draußen sind viele Autos, es ist viel weiß.
Auf dem Bürgersteig laufen Fußgänger an mir vorbei, ich habe aufgehört, sie zu zählen.
Ein Fahrer probiert, über die Gegenfahrbahn zurück zu kommen, er bleibt auf dem Huckel zwischen den Fahrstreifen stecken, kein Vorwärts, kein Rückwärts.

Keiner hupt. Er steht dort ein paar Minuten.

Dann steigt jemand aus, lässt den Wagen stehen, geht zu dem steckenden Wagen, schiebt. schiebt.

Der Wagen bewegt sich vorwärts, dann wieder zurück, dann wieder vorwärts - und ist über den Huckel hinweg. Er fährt auf der Gegenfahrbahn vorbei, winkt. Der Helfer steigt wieder ein.

Ein Herr geht herum, klopft an Fensterscheiben, fragt, ob die Insassen jemanden anrufen müssen oder wollen. Einer nimmt an, telefoniert kurz und gibt das Mobiltelefon zurück. Lächeln.

Auf der Zehn-Minuten-Strecke stehe ich inzwischen eine halbe Stunde an einer Stelle. Die Stunde, die ich unterwegs bin, habe ich noch kein einziges Hupen gehört.
Sehe Lichter vor mir, Lichter hinter mir.
Eine Ampel schaltet zum millionsten Male zwischen rot und grün durch, keiner fährt.

Blaues Blinklicht, rotes Blinklicht - habe ich da vorne nicht gerade eine Schaufel gesehen?

Vor mir gehen die Lichter aus. Ich denke nach, schalte auch Lichter und Auto aus. Der Laserdance aus dem Radio, auf der CD mit einigen tollen beruhigenden Liedern, verstummt. Hinter mir sind noch Motoren an.

Jetzt ist es wieder legal. Jetzt ist der Motor aus, jetzt darf ich ruhig Hände an Stift, Telefon und Tastatur haben.

Drei Autos vor mir fährt jemand über den Bürgersteig, probiert, durch die Nebenstraße weiterzukommen.
Ein weiterer Herr geht durch die Autoreihen, informiert. "Die warten noch auf den Streuwagen - wenn der dann zu sehen ist, noch etwa 10 Minuten". Also warten wir, bis etwas Großes um die Ecke biegt.
Der Motor ist aus, die Heizung ist aus. Es wird etwas kälter. Gottseidank habe ich das Fenster wieder geschlossen.
Es tut gut, die Füße nicht auf den Pedalen zu haben. Eben haben sie schon dermaßen gezittert, dass ich Angst bekam. Angst, nicht mehr richtig fahren zu können. Angst, in dieser Ausnahmesituation eine zusätzliches Risiko zu sein.
Jetzt ist es wenigstens ein bisschen bequemer. Hoffentlich schlafen oder frieren mir die Füße nicht ein.

Nur ein paar Meter. Wenn die beiden Wagen vor mir den einen Platz wieder aufrücken würden, dann könnte ich vielleicht rechts parken, aussteigen, den Rest zu Fuß laufen und den Wagen morgen oder so abholen. Zwei Autos weiter vorne wäre ich auch schon vor ewig langer Zeit zu Hause.

Von hinten ertönt ein Martinshorn, jedoch mit einer anderen Melodie als man Martinshörner normalerweise kennt.
Mist. Ich habe das Fenster aufgemacht, um den Klang zu lokalisieren, schließe es wieder, durch den Kofferraum kommt genug Kälte hinein...Ist es möglich, sich im Auto ernsthafte Erfrierungsschäden zuzuziehen ? Eigentlich nicht. Nicht in den paar Minuten zum Streuwagen... und im Notfall mache ich die Heizung wieder an. Nur für ein paar Minuten.

Der Wagen ist wieder an, das Radio ist wieder an. WDR schickt uns "Love Supreme", bittet alle Stausitzer, eine Gasse für Rettungswagen zu machen. Wenn die zwei vor mir das machen würden, wäre ich wahrscheinlich schon wieder weiter, schon wieder weg. Ein Fahrer weniger auf den Straßen. Ein Sommerreifen-Risiko weniger.

Sarkasmus oder Zufall ? Im Radio läuft der "lange Donnerstag". Wahrscheinlich hätte kaum jemand geglaubt, dass die Fahrten heute so lang werden.
Und wieder ein laufender Fahrer. Da vorne ist wohl ein LKW quer, unter anderen Umständen sicherlich ein interessanter Anblick.
Der Krankenwagen (das Teil mit der komischen Sirene) hat hier keine Gasse gefunden und ist über die Gegenfahrbahn gebraust.

ESCape.

Zwei-vorne hat nun ebenfalls ein U gemacht, starke Drehung, mit viel Gas über den Huckel, zur anderen Straßenseite, und nix wie weg in die andere Richtung.
Eins-Vorne ist daraufhin nach vorne gerollt.
Zero hat den Parkplatz vor der Tonne gesehen, hat ihn belegt,
Radio ausgemacht, Licht ausgemacht, Motor ausgemacht, Mütze auf, Rucksack auf, Tür auf und nichts wie weg.

Einige Dinge sind anders.
Selten waren so viele Fußgänger hier auf dem Gehweg.
Selten war so wenig Autolärm zu hören.
Selten war es hier so weiß.
Selten laufen die Fußgänger auf der Fahrbahn.

Direkt nach der Ampel stehen drei Autos, touchiert.
Nach halber Strecke fahren/rollen ein paar Wagen den Berg hinunter, nicht wirklich viele, wahrscheinlich die drei von oben... kurz vor Schluss blinkt und leuchtet ein LKW... jedoch nicht quer sondern brav auf der rechten Straßenseite. Auf dem Fußweg neben der Straße sind immer mehr geparkte Autos. Praktisch, dass die Bushaltestelle ein paar Meter weiter ist, praktisch, dass auch immer mal wieder ein Bus schön deutlich den Berg hochfährt. "Seht her, ich fahre noch! und nehme jeden mit, der mag!"
An der nächsten Kreuzung bevölkern leere Wagen die Randstreifen. Die Straße herein ist ein Restaurant mit Parkplätzen. Da ist wahrscheinlich heute abend ganz schön was los.
Ich gehe die Straße weiter, nach Hause, in die Wärme... und bin froh, dass ich *hier* wohne...


01.Februar.2003 - Der Tag mit dem Überraschungsschnee
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